Mein Ekel ist ein Privileg

Mein Ekel ist ein Privileg

- eine Veranstaltungsreihe

Projektaufriss

In der bürgerlichen Gesellschaft hat Ekel politische Funktion. Man ekelt sich vor Nazis, vor bestimmten „Migrant*innen“, vor undemokratischen Äußerungen, und vor allem anderen, was einem politisch abjekt erscheint. 

Ekel, die physische Reaktion auf das Abartige und Abscheuliche, ist eine Form der gelernten Körperpolitik. Sie macht politische Grenzziehungen zum Reflex: statt Auseinandersetzung und Kritik setzen Übelkeit, Würgen oder Brechreiz ein.

Die DDR und Ostdeutschland sind immer wieder Auslöser von Ekel für die Mehrheitsgesellschaft: so sprachdie Historikerin Hedwig Richter von der „ekligen menschenverachtenden DDR“ (2022), oder der Springerchef Mathias Döpfner drückte seinen „Ekel“ vor den Ostdeutschen aus, die entweder „nur Kommunisten oder Faschisten“ seien (2023).

In der Kunst wurde der Ekel vor Ostdeutschland vielfach durchgearbeitet, prominent in Christoph Schlingensiefs Horror-Satire „Das deutsche Kettensägenmassaker“ (1990), in der VorabendSerie „Motzki“ (1993) oder in den Ekel-Provokationen der umstrittenen Band Rammstein.

 

Ob Affekt, Provokation oder Selbstermächtigung – der Ekel vor dem Osten lässt sich mit Julia Kristevas Überlegungen zum Abjekten in „Powers of Horror“ (1982) erfassen: das widerwärtige Eigene wird abgespaltet und als Anderes körperlich ausgeworfen.

 

So werden die DDR und Ostdeutschland oft als Auswurf der Demokratie identifiziert: als „brauner Osten“, „demokratieunfähiger Osten“, „pathologischer Osten“, „miefiger Osten“, „jammender Osten“, „dunkler Osten“, „putinnaher Osten“  und so weiter.

Wie lässt sich dieser Ekel vor Ostdeutschland thematisieren, wie künstlerisch bearbeiten?

Projektidee

Unsere Reihe will die politischen und körperlichen Ökonomien des ekligen Ostens untersuchen, nach dem Motto, das der Dramatiker Heiner Müller formuliert hat: „Mein Ekel ist ein Privileg“ (1979).

Müller bezeichnete damit seinen eigenen Ekel vor der DDR-Kultur, die er mit Privilegien aus kapitalistischerWelt (Zigarren, Whisky) und DDR-System (Reiseerlaubnis) körperlich ablehnen konnte. Dieses materialistische Verständnis von „Ekel als Privileg“ ist das Motto unserer Reihe:

Ekel als körperliche Grenzziehung gegen das Andere im Eigenen muss man sich leisten können.

Mit unserer Veranstaltungsreihe zu Ekel und DDR gehen wir dieser materialistischen Lesart des Ekels nach, in Gesprächen und in Performances. Dabei wollen wir den Komplex „Ekel und Ostdeutschland“ verschieden aufbrechen und ihn politisch und körperlich mobilisieren.

Wir kuratieren drei Veranstaltungen mit jeweils unterschiedlicher Schwerpunktsetzung zu Ekel und DDR:

 

Schwerpunkt I:         Ekel als politischer Horror in den 90er Jahren

Schwerpunkt II:        Ekel in der Performance-Kunst der DDR

Schwerpunkt III:       Ekel als Körperpolitik ostdeutscher Künstlerinnen

Zu den Veranstaltungen laden wir Expert*innen ein, die wir in Podiumsdiskussionen miteinander ins Gespräch bringen. Für jede der Veranstaltungen kuratieren wir ein künstlerisches Rahmenprogramm inklusive der Uraufführung einer Performance.

Die Performance als Format scheint uns sehr geeignet für eine Auseinandersetzung mit Ekel, denn als Body-Genre arbeitet sie mit körperlichen Re/Aktionen, die in Echtzeit stattfinden, sowohl bei den Performer*innen als auch beim Publikum.

Veranstaltung I: Ekel als politischer Horror in den 90er Jahren

In der Umbruchzeit der 90er Jahre waren neuer Nationalismus und Globalisierung mit euphorischenKörpergefühlen konnotiert: Taumel des politischen Wandels und Rausch im Turbokapitalismus.

Diesen Gefühlen trat Ekel als dunkles Gegenstück zur Seite: Ekel vor den neuen Anderen, Ekel vor der schrankenlosen Warenwelt, Ekel vor dem ‚Einheitsmüll‘. In der ersten Veranstaltung unserer Reihe loten wir diesen abjekten Abgrund der 90er Jahre aus und sprechen über Auswürfe der wiedervereinigten Gesellschaft.

Gesprächsrunde mit:

Katharina Warda (Autorin, Projekt „Dunkeldeutschland“, 2020)

Annette Simon (Autorin, „Versuch, mir und anderen die ostdeutsche Moral zu erklären“)

Anna Langhoff (Dramaturgin und Theatermacherin, „Rosa Riese – Schmidt Deutschland“)

Moderation: Simon Strick (Dramaturg von PKRK, Autor „Rechte Gefühle“, 2021)

Performance: the GDR Chainsaw Massacre

Veranstaltung II: Ekel in der Performance-Kunst der DDR

Ekel spielte in der Aktions- und Performance-Kunst der DDR eine wesentliche Rolle als Material und Widerstandsform gegen die offizielle Kulturpolitik des realen Sozialismus.

In dieser Veranstaltung sprechen wir mit DDR-Künstler*innen der Aktionsgruppen „Exterra XX“ (1984-94) und „Die Autoperforationsartisten“ (1982-1991). Beide Gruppen arbeiteten in ihren Performances mit Körperverletzung und Ekelerregenden Materialien (z.B. Schweineblut), um Abscheu beim Publikum auszulösen und verkörperte Grenzen der

Kunst aufzubrechen.

Gesprächsrunde mit den Aktionskünstlerinnen:

Gabriele Stötzer (Aktionskünstlerin, Mitbegründerin von „Exterra XX“)

Else Gabriel (Performance-Künstlerin, ehem. Autoperforationsartistin)

Gundula Schulze (Photographin der Serie „Berlin in einer Hundenacht“ 1983-1987)

Moderation: Anna Stiede (Kommunikatorin)

Performance: Anat Homm (bildende Künstlerin in der Tradition der Autoperforationsartisten, Universität der Künste)

Veranstaltung III: Ekel als Körperpolitik ostdeutscher Künstler*innen

Zur dritten Veranstaltung laden wir zeitgenössische ostdeutsche Künstler*innen aus verschiedenen Sparten und Genres ein. Wir fragen, welche Rolle Ekel in ihrer Arbeit und Selbstdefinition als Künstler*innen spielt.

In diesem Zusammenhang interessiert uns vor allem, wer sich Ekel als künstlerische Signatur heute leisten kann (und will). Ist der „eklige Osten“ eine mittlerweile überholte Provokationsstrategie toxischer Männlichkeiten wie im Fall Rammstein?

Als Theaterkollektiv, das an der Schnittstelle zu Tanz und Performance arbeitet, fragen wir weiterhin, wie Ekel als Körperpolitik des Abjekten mobilisiert werden kann. Mit unseren Gästen denken wir über eine solche Programmatik des Abjekten für die künstlerische Arbeit zum Osten nach.

Gesprächsrunde mit ostdeutschen Kulturschaffenden:

Anna Zett (Filmemacherin und bildende Künstlerin, Arbeiten zu Müll und Abfall in der DDR)

Mareike Mikat (künstlerische Leitung Theater Halle, aktuelle Inszenierung „Der Drache“von Jewgeni Schwarz)

MC Bomber alias Max Grambow (Rapper und Musiker, Song „Wir sind Ekelostler“)

Moderation:  Maria Ullrich (Radiomoderatorin und DJ)

Performance: Maike Möller-Engemann (Choreographin von Panzerkreuzer Rotkäppchen)

Warum ist die Beschäftigung mit dem „Ekel vor Ostdeutschland“ bedeutsam?

  • weil der „eklige Osten“ seit den 90er Jahren zu einer Diskursform geronnen ist, die einer kulturkritischen und körperlichen Erforschung
  • weil dieser Ekel einen Zugang zu verkörperten Privilegien und verinnerlichten Selbstbildern darstellt.
  • weil Körperreflexe tiefer liegen als jeder Diskurs und über Generationen hinweg wirkmächtig sind.
  • weil der politische Horror der 90er Jahre (Treuhand-Trauma, kulturelle Übernahme, Nazi-Pogrome) ein emotionales Gegengewicht in künstlerischen Arbeitsprozessen zu Ostdeutschland braucht: wir dürfen den „Ekel vor dem Osten“ nicht bürgerlichen Reflexen überlassen.
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