Brofaromin OST
theatrale Installation zu den Antidepressiva Testreihen internationaler Konzerne in der DDR
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BROFAROMIN OST wurde ihnen persönlich verschrieben.
Geben sie BROFAROMIN OST nicht an Dritte weiter. Es kann anderen Menschen schaden, auch wenn sie dieselben Symptome haben wie sie.
Heben Sie die Packungsbeilage von BROFAROMIN OST auf. Vielleicht möchten Sie diese später noch einmal lesen. Vielleicht möchten Sie sie immer wieder lesen. Vielleicht möchten Sie irgendwann wissen, wo die Informationen in dieser Packungsbeilage herkommen.
1. Westliche Pharmakonzerne führten in der DDR mithilfe der Staatssicherheit und der Abteilung Kommerzielle Koordinierung (Immaterieller Export) im großen Stil Medikamententests durch, darunter für Antidepressiva (z.B. Brofaromin).
2. Vielfach geschahen die Tests ohne Einwilligung der Patient*innen.
3. Prof. Dr. Volker Hess (Charite Berlin) geht davon aus, dass ca. 50.000 Menschen in bis zu 900 Versuchsreihen betroffen waren.
4. Diese chemisch-emotionale Geschichte zwischen Ost und West ist bisher wenig bekannt.
5. Sie erzählt das Ineinandergreifen von fröhlichem Realsozialismus und depressivem Kapitalismus, Überwachung und Innovation.
6. Depression ist politisch. Frohsinn auch.
Wie funktioniert die Auslagerung von Depression in ein Land, in dem offiziell der „fröhliche Sozialismus“ vorherrscht?
Wir bringen die chemischen Verbindungen zwischen Kapital und Realsozialismus in die ehemalige Stasi-Kantine in Berlin-Lichtenberg.
Wurden DDR-Bürger:innen als Versuchskanichen benutzt, um die wirtschaftliche Notlage der DDR zu verbessern?
Waren ostdeutsche Patient:innen versessen auf die westlichen „Wunderpillen“?
Was sind die Nebenwirkungen des Westens und wie fühlen sich sozialistische Placeboeffekte an?
SOUNDS
PRESSESPIEGEL
“Versuchskaninchen in der Stasi-Zentrale”, Spielzeitausgabe Tagesspiegel Juni 2022, S. 23
“Kinderlieder und Medikamententests“, Neues Deutschland 15. Juni 2022, S.13
Brofaromin OST, Ankündigung IN: Freizeitstress Berlin, Podcast: „Jammern & Jauchzen“
„Mit Punk und Pillen bei der Stasi“, TAZ 20.06.2022, S.24
„Reclaim die ehemalige Stasi-Zentrale mit aufklärerischer Kultur“, www.freitag.de
„Brofaromin OST – ein Nachbericht“
STIMME AUS DEM PUBLIKUM
„Die hochprofessionellen DarstellerInnen ziehen uns von der ersten bis zur letzten Sekunde in ihren Bann. Wild, laut und intensiv. Panzerkreuzer Rotkäppchen schafft es, die skandalöse Kooperation zwischen westlichen Pharmakonzernen und der Stasi in seiner ganzen Emotionalität und unfassbaren Menschenverachtung ans Licht zu bringen. Das gelingt keiner noch so gut recherchierte Fernsehdoku. Was für eine geniale Idee, diesen historischen, immer noch unbekannten Skandal auf diese Art zu bearbeiten! Fragt sich nur, warum so ein künstlerisch und historisch relevantes Projekt nur drei mal aufgeführt wird.“
(Gesine Enwaldt / Fernsehproduzentin/ Regisseurin/ Autorin)
„Happy Socialism, made in GDR…
Glück im Realsozialismus ist paradox: einerseits ist es immer schon da, zugleich begreift sich die DDR als „Übergangsgesellschaft“ auf dem Weg zum Kommunismus. Glücksverheißung, Glücksbeschwörung und Glückszwang dienen nicht zuletzt der Schaffung einer neuen kollektiven Identität. Die Reden der Aufbaugeneration vom existierenden und heraufziehenden Glück verselbständigen sich bald, werden zur Phrase, auswendig gelernt von der Jugend.
Der gesellschaftliche Prototyp ist eine prometeische Utopie: immer tatkräftig, gesund, kraftstrotzend, zuversichtlich, mit sich im Reinen. Was nicht in dieses Bild passt?: Trübsinn, Depression, Alkoholismus, Drogensucht oder Suizid. Die DDR-Psychiatrie ist das Spiegelmotiv zum ständig proklamierten Glück. Psychotherapie hatte in der DDR einen schweren Stand. Individuelle Arztgespräche sind in der Psychiatrie die Ausnahme, Individualtherapie gilt als „bürgerlich“ und die Psychoanalyse bleibt – wie in der Sowjetunion – bis zuletzt verboten.
Das entstandene Vakuum versucht man in den 50er Jahren durch die „Lehre von der höheren Nerventätigkeit“ des Physiologen Iwan Pawlow zu ersetze. Von Stalin zur Grundlage der marxistischen Psychologie erklärt, zielt das Pawlowsche Konzept direkt aufs Hirn, auf die „führende und organisierende Rolle der Großhirnrinde“ oder gar die „Diktatur der Hirnrinde“. Ich zitiere eine Passage aus dem Buch „Seelenriss. Depression und Leistungsdruck“ der DDR-Spitzensportlerin Ines Geipel:
„ Die zentrale Therapie des Russen lautete »Heilung durch Schlaf«. Die Pawlow-Kammer versetzte die ostdeutsche Psyche in einen komaartigenZustand, entließ sie aus Alltagsdruck, Schuld, Leid,Verantwortung oder unguten Erinnerungen. Den traumlosen neuen Mensch aus dem Schlaflabor DDR muss man sich als einen rundum glücklichen vorstellen. Ausgeschlafen und quicklebendig sprang er früh am Morgen aus dem Bett, reckte keck die Arme und machte sich pflichtbewusst an die harte Arbeit, was nichts anderes hieß als an den Aufbau des Kommunismus… [Später] wurde die Schlafkammer durch die harte Medikalisierung der ostdeutschen Bevölkerung – in Psychiatrien, Heimen, Gefängnissen – ersetzt.““
(Auszug aus „Brofaromin OST“)