The East in Me

The East in Me

- eine Prozessförderung

Die Erinnerungskultur für Ostdeutschland ist an einem Wendepunkt angelangt: spätestens 30 Jahre nach Mauerfall, Wiedervereinigung, Rostock-Lichtenhagen ist eine neue Generation herangewachsen, die die DDR nicht mehr als „untergegangene Diktatur“ oder „vergangene Utopie“ erinnern will.

Diese Generation fühlt „den Osten“ anders: im Präsens und als eine Quelle für alternative Lebensentwürfe. Statt „Ostalgie“ oder „DDR-Bashing“ geht es dieser Generation darum, den Osten und die Reste der DDR in der Gegenwart neu zu artikulieren: als Teil der eigenen Identität. Das Faszinierende: diese neue Generation erinnert die DDR, ohne sie erlebt zu haben.

Für diese Generation ist der Osten nicht mehr Historie, die man aufarbeiten oder für die man sich rechtfertigen muss, sondern phantomschmerzende „Heimat“, verschüttete Eigengeschichte und Ressource vielfältiger Zukunftskonstruktionen. Mit unserem Projekt The East in Me haben wir an diesen neuen Erinnerungsdiskurs angeknüpft und diverse Akteur*innen aus der Theaterszene eingeladen, an ihrem „inneren Osten“ zu arbeiten. Dabei sind verschiedene Teil-Projekte entstanden:

Teilprojekt „Sorgenmaschine“: Anna Stiede
Das Projekt fragt nach dem akustischen Nachleben von VEB Maschinen.

Teilprojekt „Krähen“: Maike Möller-Engemann, Kerstin Hurbain, Giorgia Bovo, Jenny Wübbe, Susann Neuenfeldt
Das Projekt untersucht Physiologie und Mythologie von Saatkrähen im Nationalpark „Unteres Odertal“

Teilprojekt „PSYCHO GDR“: Jana Olschewski, Maike Möller-Engemann, Werner Türk, Susann Neuenfeldt
Das Projekt setzt den Untergang der DDR in die „Psycho“-Filmlandschaft von Alfred Hitchcock.

Teilprojekt „Eastern Coastal Part“: Alison Shea
Das Projekt sucht im Norden nach dem inneren Osten als Strandgut-Mobile.

Teilprojekt „Sabine H.“: Sabine Böhm, Jenny Helene Wübbe, Susann Neuenfeldt
Das Projekt beschäftigt sich mit dem Fall der neunfachen Kindsmörderin „Sabine H.“.

Teilprojekt „Broken Heroes“: Maike Möller-Engemann, Clara Höhre, Anat Homm, Hans Narva, Susann Neuenfeldt
Das Projekt entwirft ein Emotional-Starving-Kostüm für den inneren Osten.

Teilprojekt „Skinhead-Arie“: Danja Schilling, Susann Neuenfeldt
Das Projekt clasht die „Baseball-Schläger-Jahre“ mit bürgerlicher Hochkultur.

Teilprojekt „Gespenster“: Richard Pfützenreuter
Das Projekt ruft Gespenster des inneren Ostens.

O-Töne der Projektbeteiligten

„The East in Me ist ein Riss voller Gespenster. Gespenster sind Erinnerungen, die nicht zur Ruhe kommen. In der normalen Trauer akzeptieren wir den Verlust und verinnerlichen ein Idealbild des Toten. Wenn Trauer gestört ist, leben die Toten in uns fort, sie behalten ein Eigenleben und sprechen manchmal in und durch uns. (Richard Pfützenreuter, Teilprojekt „Gespenster“)

„Das Ende meiner Kindheit war auch das Ende der DDR und ist die Verbindung zu Sabine H.: Ihre toten Babys bleiben für immer Kinder. Und für immer unschuldig. Zur Unschuld kommt das Thema Tod. DDR tot. Meine Kindheit tot. Sabine H.s Babys tot.“ (Sabine Böhm, Teilprojekt „Sabine H.“)

„Ich war fasziniert davon, wie unterschiedlich die Recherche-Ergebnisse waren: Ich erin-nere mich an die zarten und bizarren Krähenflüge; gut erzählte schlechte Witze in gelben Jogginganzügen; einen Nazi, dessen berührender Operngesang mir Gänsehaut bereitete; ein perverses und verletzliches Fleischmonster und Trump als Omakrähe im Rollstuhl.“ (Luise Grell, Teilprojekt „Wendepunkt“)

„I very much enjoyed the reference to Hitchcock’s Psycho. It made me reflect on what type of unique mourning for the defunct mother/country people from the East are proba-bly experiencing.“ (Giorgia Bovo, Project „Crows“)

„Die Wiedergabe einer schlichten individuellen Erinnerung kann eine ganze Zeit ausdrü-cken. Die Einfachheit eines persönlichen Eindrucks kann die Komplexität einer Zeit wi-derspiegeln“ (Kerstin Hurbain, Teilprojekt „Krähen“)

„Meine größte Freude an dem Projekt The East in Me war die Verknüpfung von Hitch-cocks Psycho und der DDR – basierend auf meiner eigenen Erfahrung, die Geschichte des Films mit 9 Jahren beim Waldspaziergang von meiner Mutter erzählt zu bekommen und später nochmal am Lagerfeuer, weil ich schaudernd danach verlangte.“ (Jana Olschewski, Teilprojekt „Psycho GDR“)

„Mit der Arbeit an der SORGENMASCHINE habe ich erfahren, dass der Leichnam der Ma-schine noch im Keller liegt. Die DDR ist immer noch da, weil sie nie beerdigt wurde. Die SORGENMASCHINE braucht die Kindsmörderin „Sabine H.“. Die SORGENMASCHINE ist die Kindsmörderin. Die SORGENMASCHINE tötet, weil die DDR noch immer lebt.“ (Anna Stiede, Teilprojekt „Sorgenmaschine“)

„Krähen sitzen auf den Trümmern und auf den Gräbern der Erinnerung und beobachten (…) Ich habe gelernt, dass Krähen Zukunft sind, weil sie die Vergangenheit essen.“ (Maike Möller-Engemann, Choreographin „The East in Me“)

„Mein Osten liegt im Norden, wo der Wind am stärksten weht, wenn Bernsteinwetter ist. Hier bin ich geboren worden, als es die DDR schon nicht mehr gab. Mich beschäftigt eine ostdeutsche Identität, die ich nicht greifen kann. Die für das Projekt „The East in Me“ entstandene Arbeit „Eastern Coastal Part“ ist der Versuch, Fragmente dieser einzufangen und in ein Gleichgewicht zu bringen.“ (Alison Shea, Teilprojekt „Eastern Coastal Part“)

„Ja, also, der Skinhead wollte die Kindsmörderin trösten, es zog ihn zur Kindsmörderin. Aber da ging gar nichts, da konnt‘ er NICHTS ausrichten. Ja und plötzlich volle Kanne In-teresse Sorgenmaschine. Sorgenmaschine und Skinhead haben sich quasi zu einem Stelldichein gefunden. Totales Interesse. Es wurde getanzt, es wurde umarmt, bis es in einen Kampf überwechselte, ein Kampf um den Baseballschläger“ (Danja Schilling, Teil-bereich „Skinheadarie“)
„Auch heute Broken Heroes noch laut im Ohr, bin ich immer noch tief geflasht von die-sem emotionalen Trip, diesem Mit-Erleben dürfen. Als Westdeutsche kann man sich viele Fakten über THE EAST raufschaffen, viel in Büchern lesen (dabei meine ich weniger die Schulbücher, denn da haben wir ja nichts über die DDR gelernt) – so ein emotionales Ler-nen wie hier, durch geteilte Tränen, vor Lachen und Weinen, habe ich selten erlebt.“ (Jenny Helene Wübbe, Teilprojekte „Sabine H.“, „Krähen“)

„Mutter steht am Fenster im hohen Haus. Mutter sieht uns. Wir sprechen mit ihr und für sie, wir morden für sie und mit ihr, wir haben sie getötet damals im Herbst. Das Licht brennt noch im Fenster. Seit damals sind wir Sonderlinge, Psychos. Unsere Bühne steht an der Abbruchkante des Normalen. Wir lassen uns fallen, in die Maske der Toten. Ins Haus hinter den Häusern, wo die fremden Gäste leben. We are all Norman Bates!“ (Susann Neuenfeldt & Simon Strick, Idee & Konzept „The East in Me“)

Podcastinterview mit PKRK zu „Osten im Theater“

The-East-in-Me_Psycho GDR from panzerkreuzer.rotkaeppchen on Vimeo.

East-in-Me_Krähen from panzerkreuzer.rotkaeppchen on Vimeo.

Projektrelevanz

„The East in Me“ ist sowohl eine Antwort auf die neue Erinnerungskultur zum Osten als auch auf die veränderten digitalen Sehgewohnheiten durch z.B. Meme-Produktion.

Unser Projekt will sich der Hyperkomplexität, der Informationsflut, der synchronen Differenz an Ost-Erfahrungen formal annähern und theatrale Memes für diverse Ostgefühle abbilden.

Gegenwärtig ist der Konsens über den Osten ausgelaufen: migrantische Geschichte der DDR, ökonomisch-politische Übernahmenarrative, Diskurse über Rechtsradikalismus und Basisdemokratie haben die leere Formel der „Wiedervereinigung“ ersetzt.

Auch formal ist „The East in Me“ sehr aktuell:
Unsere Methode des „Parallel-“ bzw. „Meme-Theaters“ antwortet auf veränderte Sehgewohnheiten im digitalen Zeitalter.

Wo Öffentlichkeiten ständig neue und disparate Szenarien verhandeln müssen, kann das Theater nicht mehr länger auf einem Stoff, einem Text, einem Inszenierungskonzept bestehen.

In einer Zeit, in der Theatermacher:innen versuchen, das Theater in den digitalen Raum zu holen (z.B. Zoomtheater), arbeiten wir mit unserer Methode des „Meme-Theaters“ umgekehrt.

Wir versuchen, digitale Techniken in die analoge Theaterpraxis zu übertragen und auf der Folie „Ost“ auszugestalten.

Das Projekt wurde gefördert vom Fonds Darstellende Künste im Rahmen von #TakeHeart. Mit besonderem Dank an das Thea-terhaus in Schöneweide.

  • Produktion, Idee & Konzept: Panzerkreuzer Rotkäppchen
  • Produktionsleitung: Anat Homm
  • Künstlerische Leitung: Susann Neuenfeldt
  • Finanzleitung: Maria Ullrich
  • Choreographie: Maike Möller-Engemann
  • Bühne: Susann Neuenfeldt, Werner Türk, Anat Homm
  • Kostüme: Alison Shea, Frieda Westphalen, Clara Höhre, Susann Neuenfeldt
  • Sound Design: Hans Narva & Narvas schöne Fische, Holger Duhn
  • Licht Design: Holger Duhn
  • Kommunikation: Simon Strick, Susann Neuenfeldt
  • Social Media : Maria Ullrich
  • Technische Leitung: Kirstin Giebeler
  • Kamera: Simon Strick, Ana Marinov
  • Kamerassitenz: Sezgin Kivrim
  • Videoschnitt: Simon Strick
  • Website: Ludovica Farace & Giannina Herion
  • Photos: Maria Ullrich, Ronald Spratte, Susann Neuenfeldt
  • Beteiligte Performer*innen und Rechercheur*innen: Anna Stiede, Richard Pfützenreuter, Hans Narva, Alison Shea, Jana Olschewski, Sabine Böhm, Luise Grell, Jenny Helene Wübbe, Maike Möller-Engemann, Danja Schilling, Giorgia Bovo, Kerstin Hurbain, Alison Shea, Susann Neuenfeldt, Elisa-beth Hunfeld
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