Working Girls, 1988

Working Girls, 1988

- eine theatrale Recherche

Während der Olympiade in Calgary 1988 treten zwei Favoritinnen um die Goldmedaille im Eiskunstlaufen an: Katarina Witt aus der DDR und Debra Thomas aus den U.S.A..

Dieser Wettkampf wird bis heute als „Battle of the Carmens“ (BBC) erinnert, denn Witt und Thomas laufen in ihrer Kür zur Carmen-Musik von Georges Bizet. Ein Blick auf dieses „Battle“ zeigt:

Witt und Thomas werden von ihren Trainer:innen (Jutta Müller und Alex McGowan) wie Gladiatorinnen aufs Eis geschickt.

Beide präsentieren mit ihrer Kür nicht nur ihr Land, sondern verkörpern dessen politisches System. Jede Geste, jede Pirouette, jeder Kantensprung ist Ausdruck ihrer politischen Stellvertreterfunktion.

Für beide Sportlerinnen markiert die Kür einen Wendepunkt in ihren Arbeitsbiographien: Für Witt ist sie der Beginn der „Karriere im westlichen Ausland“, für Thomas das „Karriere-Aus“ und die Rückkehr in den Trailer Park.

Uns interessiert das Körpertheater, in das die beiden jungen Frauen kurz vor Ende des Kalten Krieges eingespannt sind. Wir fragen:

1. Warum ist die Carmen-Figur ein gemeinsamer Nenner beider Systeme?

2. Nach welchen Körper- und Bewegungsrepertoires erarbeiten Witt und Thomas ihre Kür?

3. Wie lassen sich die Choreographien theatral nachstellen und auswerten?

Um diesen Fragen nachzugehen, werden wir die Video-Aufnahmen der Carmen-Choreographien in Close Readings sichten und theatral auswerten. Der Fokus unserer theatralen Analyse liegt auf den Körper- und Bewegungsrepertoires beider Choreos.
  • die Carmen-Referenzen
  • die zugrunde liegenden Körperbilder
  • die Kontextualisierung bestimmter Gesten und Körperhaltungen
  • die Verschaltung der Kür mit den Körperpolitiken der jeweiligen politischen Systeme
  • die theatrale Nachstellung beider Carmen-Interpretationen mit den Instrumentarien des klassischen und postdramatischen Theaters

„Sie stirbt, und ich nicht“, sagte Thomas. (Randy Harvey, Los Angeles Times 1988)

„Ehrlich gesagt, hat Debi im Moment keine Lust zu sterben“, sagte De la Pena (Thomas‘ Choreograph). „Was wir mit Debi versucht haben, ist, ihre wahren Emotionen herauszuholen. Ohne jemanden auf dem Eis, der dich umbringt, ist es ein wenig künstlich.“ (Randy Harvey, Los Angeles Times 1988)

„Wer den Blick gesehen hat, mit dem Katharina Witt bei den Olympischen Spielen 1988 in Calgary ihre Kür begann, der kann ihn nicht vergessen. Der ging durch Mark und Bein. Katarina Witt als Carmen, im knallroten Kleid, mit strengem, dunklem Haarknoten, blutroten Lippen und tiefschwarz umrandeten Augen. Ganz leicht gesenkt war dieser Blick, als versuchte sie, etwas Unsagbares zu verbergen“ (Evi Simeoni, 2020)

Das Projekt wird gefördert vom Fonds Darstellende Künste.

  • Idee und Rechercheleitung: Susann Neuenfeldt
  • Choreographie: Maike Möller-Engemann
  • Katharina Witt: Kerstin Hurbain, Maike Möller-Engemann
  • Trainerin Katharina Witt, Jutta Müller: Jana Olschewski
  • Staatsratsvorsitzende der DDR, Erich Honecker: Werner Tuerk
  • Kamera: Simon Strick
  • Photos: Ronald Spratte
  • Wissenschaftliche Expertin Carmen-Mythos: Prof. Dr. Inge Stephan
  • Produktion, Finanzen: Maria Ullrich
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